Die Sportfotografie. Meine Leidenschaft. Am Abend ein Pokalviertelfinale. Fußball. Knockout-Spiel. Eine weitere Leidenschaft. Es ist angerichtet. Es kribbelt. Der Underdog SG Nuhnetal/Dreislar/Hesborn empfängt Rekordsieger RW Erlinghausen. Der Pokal hat seine eigenen Gesetze – so heißt eine dieser alten, abgegriffenen Fußballfloskeln. In Bielefeld sind heute noch alle verheult und verkatert. Das sind die Momente, warum man diesen Sport so liebt.
20:00 Uhr ertönt der Anpfiff in Hallenberg. Für mich heute utopisch – ich werde wohl erst zur Halbzeit eintreffen. Kein Problem. Mein Terminplan ist voll, jetzt muss alles glatt gehen. Die Vorbereitungen starten am späten Nachmittag. Den Kameraakku nochmal ins Ladegerät. Das Objektiv – teurer als mancher Kleinwagen – wird noch einmal mit einem Mikrofasertuch von meinen fettigen Bratwurst-Fingerabdrücken vom Vortag befreit.
Als in Hallenberg der Anpfiff ertönt, schmeiße ich mein Arbeitsgerät lieblos ins Auto und starte die Reise ins – aus geografischen Gründen – gern vergessene hessische Grenzgebiet. Eine match-day.de-technische Diaspora. Aber heute sollte alles anders werden: Fotos unter Flutlicht. Stock-Fotos von Trainern, Leistungsträgern und Nachwuchsjuwelen. Im Idealfall: Jubelbilder vom Sieger. Die Heimfans würden mich feiern – endlich mal match-day.de mit der Kamera da. Jetzt darf wirklich nichts mehr schiefgehen. Wie sagte Thomas Tuchel so schön? „Es ist Halbfinale. Es ist nicht der Moment für Entschuldigungen. Alle müssen ans Limit. Alle müssen leiden. Es hilft halt nichts, wenn du nachher Entschuldigung sagst. Dafür bist du der Beste – und wenn du das in dem Moment nicht liefern kannst, dann hilft das in dem Moment nicht – hinterher ’ne Entschuldigung.“
Die Fahrt geht los. Hupend mit 30 durch Antfeld, ab Bigge beschleunigen, bis Winterberg Vollgas und ein paar Holländer nötigen, die auf dem Weg in die Wasweißich-Ferien oder zum würdelosen Rumgerutsche am Ruhrquellenlift vor mir her schleichen. Dann nach Züschen runtereiern, vom 40 Jahre alten stationären Blitzdings fotografiert werden, und 48 Kurven sowie 13 Funklöcher später bin ich in Hallenberg. Auf der unübersichtlichen, 45 Grad-steilen Zufahrt zum Parkplatz fast noch einen Rentner überfahren, drei Autos und die Feuerwehrzufahrt zugeparkt, Kamera und Monopod unter den Arm – und schnell zum Platz.
Der Bratwurstgeruch kommt mir schon entgegen, die Teams sind noch in der Kabine. Halbzeit. Punktlandung. Die jahrelange Routine zahlt sich aus. Ein bisschen Smalltalk mit der Erlinghauser Bank, und da kommen die Teams auch schon wieder aufs Feld. Ich ziehe meinen 300 Euro-Gitzo-Kohlefaser-Monopod auseinander, schraube das Nikon-Flaggschiff samt Teleobjektiv drauf, sehe den Akkuschacht der Kamera… Der verfickte Akku ist noch im 45 Kilometer entfernten Brilon – und lädt dort fröhlich vor sich hin.
Ich mache meinem Unmut lautstark Luft. Unter dem Gelächter einiger RWE-Spieler, die allesamt einen Marktwertcrash hinlegen werden wie die Tesla-Aktie seit Elon Musk den Faschisten-Hofnarr mimt, erleide ich einen kleinen Nervenzusammenbruch. „Wenn du jetzt losfährst, bist du zum Elfmeterschießen wieder da!“, schallt es von der rot-weißen Bank. „HALT DIE FRESSE!“ Angesichts einer 2:0-Führung eine bodenlose Provokation. Und wenn ich versuchen würde, 180 Kilometer für ein Kreispokalspiel beim Finanzamt geltend zu machen, würde mich Christian Lindner persönlich verhaften und in seinem Porsche in die nächste JVA fahren. Also stand ich da – wie eine 20-jährige Reise-Bloggerin mit iPhone – und versuchte, mich mit meinem Schicksal anzufreunden, während die leblose Hülle meiner Kamera neben mir auf dem Kunstrasen lag. Die Ergebnisse waren – wohlwollend formuliert – ausbaufähig.
Gestochen scharf, voller Emotionen und purer Ausdruck eines packenden Pokalabends – dieses Foto hat einfach alles. Foto: Jan Stratmann
Der Moment des Entsetzens. Foto: Jan Stratmann